22.07.2020 SynErgie
Wie die Augsburger Industrie das örtliche Stromnetz stabilisieren will
Mit steigendem Anteil Erneuerbarer Energien nehmen Schwankungen im Stromnetz erheblich zu. Die Industrie kann helfen diese Schwankungen auszugleichen, indem sie ihre Stromnachfrage bewusst steigert oder senkt. Wie das funktioniert, zeigt die energieflexible Modellregion Augsburg in den kommenden Jahren: Bis 2022 realisiert dort das Kopernikus-Projekt SynErgie einen bisher einzigartigen Testlauf.
Gelingt es der Industrie ihre Stromnachfrage flexibel und binnen kürzester Zeit bewusst zu erhöhen oder zu senken, kann sie das deutsche Stromnetz massiv entlasten. So muss im Stromnetz die Nachfrage zu jedem Zeitpunkt genauso hoch sein wie das Stromangebot. Mit einem Anteil von knapp 45 Prozent an der Stromnachfrage hat die Industrie ein erhebliches Potenzial dieses notwendige Gleichgewicht herzustellen.
In der energieflexiblen Modellregion Augsburg zeigt das Kopernikus-Projekt SynErgie nun, wie das gelingen kann: Dort haben sich 38 Partner aus Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaften zusammengeschlossen, um erstmalig zu demonstrieren, wie Energieflexibilität als Dienstleistung angeboten, verkauft und genutzt werden kann. Dazu entwickelt SynErgie bis 2022 eine Energiesynchronisationsplattform, die das Angebot von und die Nachfrage nach Energieflexibilität zusammenbringt. Die Plattform zeigt also, wann und in welchem Umfang Netze durch eine niedrigere oder höhere Stromnachfrage entlastet werden müssen – und welche Unternehmen diese höhere oder niedrigere Nachfrage anbieten können.
Ziel der Modellregion Augsburg ist es, einen lokalen Markt für Energieflexibilität zu schaffen, in dem Unternehmen komplett automatisiert Netzinstabilitäten ausgleichen und dafür bezahlt werden. Fünf Unternehmen in der Region Augsburg stellen für den Testlauf Energieflexibilität zur Verfügung: Der Landmaschinenhersteller AGCO, das Energie- und Gebäudetechnik-Unternehmen Alois Müller, die Papierhersteller Schöller und UPM sowie das Infrastruktur Ingenieursbüro Steinbacher-Consult. Gleichzeitig beteiligen sich Netzbetreiber und Energieversorger am Test: die Lechwerke, die LEW Verteilnetz GmbH, die Stadtwerke Augsburg und SWA Netze.
Seit 2016 arbeitet SynErgie bereits am theoretischen Konzept der Modellregion – nun beginnt die Praxisphase. Bis 2022 soll der automatisierte Flexibilitätsmarkt in einem anwendungsfallspezifischen Testlauf umgesetzt werden. Gelingt der Versuch, können die SynErgie-Technologien die regionale Versorgungssicherheit erhöhen und Unternehmen für ihr netzdienliches Verhalten finanziell entlohnen. Zukünftig besteht zudem die Möglichkeit der Übertragung auf andere Regionen. Das Potenzial ist enorm: Bereits heute könnte die deutsche Industrie das Stromnetz massiv entlasten: Ihr Flexibilitätspotenzial für die Lasterhöhung liegt derzeit bei knapp drei Terawattstunden, für den Lastverzicht bei mehr als sieben Terawattstunden pro Jahr. Das heißt: Die Industrie könnte ungefähr so viel Strom puffern wie alle ans deutsche Stromnetz angeschlossenen Pumpspeicherkraftwerke zusammen.
Damit Energieflexibilität allerdings flächendeckend genutzt und vermarktet werden kann, muss der bisherige regulatorische und rechtliche Rahmen angepasst werden.Denn für den erfolgreichen Umbau des Energiesystems braucht es auch einen politischen Rahmen, der die Flexibilisierung des Stromverbrauchs gestaltet. So bestraft beispielsweise die derzeitige Gesetzgebung zu Netzentgelten die Anpassung von Unternehmen an das Stromangebot durch höhere Energiekosten. Hierzu hat das SynErgie-Projekt ein Positionspapier erarbeitet, welche gesetzlichen Änderungen jetzt notwendig sind, um die Grundlagen für die Etablierung eines Energieflexibilitätsmarkts zu schaffen.