15.02.2022 P2X
Was plant die Ampel für die Wasserstofferzeugung, -nutzung und -forschung?
Klimaschutzpolitischer Austausch im Rahmen des Kopernikus-Projekts P2X, organisiert von BUND und WWF am 31. Januar 2022
Der erste klimaschutzpolitische Austausch des Jahres fand als Online-Format mit 180 Teilnehmerinnen und Teilnehmern statt und widmete sich dem Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung, insbesondere dem Kapitel „Gas und Wasserstoff“. Von Interesse waren darüber hinaus die Eröffnungsbilanz Klimaschutz des BMWK sowie die Vorbereitungen zu einer überarbeiteten Wasserstoffstrategie. Eingeladen waren Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft. Für die Ampelkoalition nahmen Jens Geier (MdEP, SPD) und Katrin Uhlig (MdB, Grüne) teil, das FDP-geführte BMBF wurde von Volker Rieke (Abteilungsleiter Zukunftsvorsorge – Forschung für Grundlagen und nachhaltige Entwicklung) und Andreas Schmidt (Referat Energie; Wasserstofftechnologien) vertreten. Samuel Alt (Siemens Energy), Viviane Raddatz (WWF) und Falko Ueckerdt (PIK, Kopernikus-Projekt Ariadne) waren eingeladen, um Fragen und Kommentare zu den Statements der Politik aufzuwerfen. Moderiert wurde die Veranstaltung von Oliver Powalla (BUND). Das Schlusswort war Kurt Wagemann (DECHEMA, Kopernikus-Projekt P2X) vorbehalten.
Jens Geier, der Berichterstatter zur EU-Wasserstoffstrategie, betonte die notwendigen Beiträge der einzelnen Mitgliedstaaten zum Wasserstoffhochlauf. Diese könnten über Quoten sichergestellt werden. Für die dringende Versorgung von Schlüsselindustrien, vor allem der Stahlbranche, hält er auch den Einsatz blauen Wasserstoffs für nötig. Die EU müsse prioritäre Anwendungen definieren, dürfe aber die Regularien insgesamt nicht zu eng festlegen. Staatliche Förderungen wie Carbon Contracts for Difference seien unerlässlich, die Zusätzlichkeitsanforderung an die Wasserstofferzeugung lehnt er als zu rigide ab. Kritisch äußerte er sich gegenüber der Aufnahme von Gas und Atomkraft in der EU-Taxonomie. Der Einsatz von Erdgas ist zwar vorübergehend weiter nötig, dies könnte aber nicht als nachhaltig gelabelt werden. Wo neue Infrastruktur für Gas entstehe, müsse diese H2-ready sein.
Katrin Uhlig, Mitglied im Bundestagsausschuss für Klimaschutz und Energie, hob die Bedeutung einer Gesamtstrategie für den Wasserstoffeinsatz hervor. Den Schwerpunkt setze die neue Regierung auf die Bereiche Chemie, Stahl, Flug- und Schiffsverkehr. Industrieerhalt und Ansiedlung seien dabei maßgeblich für Deutschland. Die Vorgaben des Koalitionsvertrages bezeichnete sie als insgesamt ambitioniert, aber realistisch. Der unverzichtbare beschleunigte Ausbau der Erneuerbaren Energien werde durch die Oster- und Sommerpakete umgesetzt. Wasserstoffimporte müssten auf Augenhöhe realisiert und die Erzeugung sinnvoll mit den lokalen Energienetzen verzahnt werden.
Volker Rieke, Abteilungsleiter Zukunftsvorsorge – Forschung für Grundlagen und nachhaltige Entwicklung im BMBF, sieht den Klimaschutz als oberste Priorität und als das zentrale Thema dieser Legislaturperiode. Dabei sei Grüner Wasserstoff das Schlüsselelement, um Klimaschutz in der Industrie zu gewährleisten und biete auch enorme Chancen für den Export von klimafreundlichen Technologien. Aus Sicht des BMBF sind zwei Aspekte zentral: Erstens müssten die technologischen Voraussetzungen für Herstellung und Verteilung von Wasserstoff im Industriemaßstab geschaffen werden. Zweitens gelte es, den Import von Wasserstoff vorzubereiten. Letzteres unterstützt z. B. der H2-Potenzialatlas Afrika, der zusammen mit 31 afrikanischen Staaten entwickelt wurde. Zukünftig seien in Deutschland Forschung und Regulatorik besser zu verzahnen, wobei Lern- und Entwicklungsprozesse in ausgewiesenen Innovations- und Transferregionen stattfinden könnten. Die Erfahrungen aus den Leitprojekten H2Giga, H2Mare und TransHyDE würden auch in die weiterentwickelte Nationale Wasserstoffstrategie einfließen.
Für das Kopernikus-Projekt Ariadne nahm Falko Ueckerdt, Head of National Energy Transitions Team am PIK, an der Veranstaltung teil. Er stellte fest, dass zentrale Kennziffern des Koalitionsvertrages sich mit der Forschung zu Energie- und Klimaszenarien decken würden. Da die Entwicklung von Wasserstofftechnologien durch wesentliche Unsicherheiten bestimmt sei, empfahl er eine anpassungsfähige Wasserstoffstrategie. Deren Ziel sollte es nicht sein, Wasserstoff in möglichst vielen Anwendungen einzusetzen, sondern kurzfristig für Anwendungen in Industrie und Flug- und Schiffsverkehr zu priorisieren, und gleichzeitig weitere Türen für die Wasserstoffnutzung zu öffnen und dann auf Basis neuer Erkenntnisse über den sinnvollsten Einsatz zu entscheiden. Der wissenschaftliche Konsens reiche so weit, dass verschiedene Szenarien nicht gegeneinander ausgespielt werden müssten: Über die Vervielfachung heimischer Erneuerbarer Energien und den großen Wasserstoffimportbedarf über internationale Lieferketten bestehe Einigkeit. Bei der Diskussion über die Kriterien der Wasserstofferzeugung seien sowohl der Wunsch nach ökonomischer Realisierbarkeit als auch der Fingerzeig der NGOs auf THG-Intensität berechtigt und sollten gleichermaßen einbezogen werden.
Viviane Raddatz, Bereichsleiterin Klimaschutz und Energiepolitik beim WWF Deutschland, hob hervor, dass die Big Five der Wasserstoffstudien klar die direkte Elektrifizierung priorisieren würden. Beim Wasserstoffhochlauf müssten Lock-In-Effekte in fossile Technologien unbedingt vermieden werden. Exportländer sollten auch dadurch profitieren, dass sich die Umweltsituation vor Ort und der Zugang zu Strom verbessern. Es müssten holistische Nachhaltigkeitskriterien beim Import von Wasserstoff beachtet werden, die sicherstellen, dass die jeweilige Klimaschutzstrategie des Landes nicht durch die lokale Wasserstoffproduktion leidet. Erneuerbare Kapazitäten sollten zusätzlich aufgebaut werden. Der Wasserstoffbeimischung in das Erdgasnetz erteilte sie eine Absage, da dafür nicht genügend Grüner Wasserstoff vorhanden sein wird und die THG-reduzierende Auswirkung eher gering ist.
Samuel Alt, Senior Director Energy Policy bei Siemens Energy, sagte der Förderrahmen der Bundesregierung sei mit 9 Milliarden Euro zwar ausreichend groß, die EU beihilferechtlichen Anforderungen würden aber zu sehr kleinteiligen Investitionen führen. Daher müssten Impulse abseits des Beihilferechts stärker in den Fokus rücken. In diesem Kontext hob er positiv hervor, dass der Koalitionsvertrag die Rolle einer grünen öffentlichen Beschaffung stärken würde. Hier könnten sich Leitmärkte für Wasserstoff und E-Fuels herausbilden und ein schneller Nachfrageimpuls für den Wasserstoffhochlauf gesetzt werden. Zudem müssten beihilfefreie Förderoptionen wie H2 Global gestärkt und ausgebaut werden. Mit Blick auf die EU beklagte er, dass der Konsultationsentwurf der RED II, insbesondere zur Grünstromdefinition, weiter fehlen würde, wodurch Investitionsentscheidungen verzögert würden. Die Kritik an den Zusätzlichkeitsanforderungen teilte er mit Jens Geier.
In seinen abschließenden Worten stellte Kurt Wagemann, Koordinator des Kopernikus-Projektes P2X, fest, dass überraschend viel Konsens zwischen den Sprecherinnen und Sprechern bestehen würde. Er betonte, dass Klimaschutz das übergeordnete Ziel sei. Wasserstoff gelte es prioritär dort einzusetzen, wo damit eine hohe Einsparung von CO₂ einhergeht (z. B. Stahl und Chemie), bzw. der Einsatz unverzichtbar ist (z. B. Luftfahrt in Form von synthetischem Kerosin auf Basis von Wasserstoff). Der Import von Wasserstoff werde nötig sein, wobei die erforderlichen Rahmenbedingungen zu schaffen und die hierfür erforderlichen internationalen Beziehungen zu etablieren seien. Dabei spiele Nachhaltigkeit eine große Rolle, was auch beinhalten sollte, dass es keine neue Form des Kolonialismus geben dürfe. Im Kontext der Taxonomie-Diskussion würde viel über Investitionen gesprochen. Eigentlich viel wichtiger sei aber, wie sich Investorinnen und Investoren finden lassen für die Produktion von Wasserstoff an geeigneten Standorten im Ausland. Forschungspolitisch sollte das Thema Rohstoffe mehr Bedeutung erhalten, insbesondere mit Blick auf das Recycling, Kohlenstoffquellen und das Stromnetz, das unter anderem das Kopernikus-Projekt ENSURE behandeln würde. Die Kopernikus-Projekte könnten auch für weitere Themen als Modell genommen werden, da die Dreistufigkeit mit Zwischenevaluierung ganz klar zu einer Beschleunigung des Innovationsprozesses hin zur Demonstration führen würde. Dazu gehöre wesentlich auch die instruktive Beteiligung der Zivilgesellschaft.