01.04.2020 ENSURE
Studie: Wie das Energiesystem 2030 aussehen könnte
Erstmalig haben sich Wirtschaft, Wissenschaft, Netzbetreiber und Zivilgesellschaft auf vier Szenarien geeinigt, wie das Energiesystem 2030 aussehen könnte. Die meisten sprechen sich für ambitionierten Klimaschutz aus. Doch diese weitgehenden Ziele sind nur sehr schwer zu erreichen. Das ist das Ergebnis einer Studie des Kopernikus-Projekts ENSURE.
Das Kopernikus-Projekt ENSURE entwickelt das Stromnetz der Zukunft. Um das jedoch tun zu können, muss das Projekt zunächst wissen, wie die Energiezukunft aussieht, für die es das Netz entwickelt. Dazu hat ENSURE einen bisher einzigartigen Versuch unternommen: Mit Vertretern der gesellschaftlichen Gruppen, die von der Energiewende am meisten betroffen sein werden, hat das Projekt vier Möglichkeiten entwickelt, wie sich das Energiesystem verändern könnte. So schufen Stakeholder aus Industrie, Gewerkschaften, Kommunen und Umweltschutz vier Entwicklungspfade für das Energiesystem 2030:
- Entwicklungspfad A basiert auf dem „Netzentwicklungsplan 2030“, der von Netzbetreibern und der Bundesnetzagentur gemeinsam erstellt. Er sieht bis 2030 eine Reduzierung der Treibhausgas-Emissionen um 52 Prozent gegenüber 1990 vor.
- Entwicklungspfad B ist der ambitionierteste: Er folgt dem Pariser Klimaschutzabkommen von 2015 und beschreibt einen als angemessen betrachteten Beitrag Deutschlands, um die globale Erwärmung auf 1,5 Grad zu beschränken. Entwicklungspfad B sieht eine Reduzierung der Treibhausgas-Emissionen um 78 Prozent bis 2030 vor.
- Entwicklungspfad C beschreibt eine europäisch umgesetzte Energiewende – mit dem Ziel dem Mindestanspruch des Pariser Klimaabkommens zu entsprechen. Die Treibhausgas-Emissionen müssten in diesem Fall um 67 Prozent sinken.
- Das gleiche Ziel gilt für Entwicklungspfad D. Er geht jedoch von einer dezentral umgesetzten Energiewende aus, also einer Energiewende, die verstärkt auf regionale Organisation und den regionalen Ausgleich von Stromangebot und -Nachfrage ausgerichtet ist.
„Zum ersten Mal hat eine vielfältige Gruppe von Vertreter und Vertreterinnen der Zivilgesellschaft über einen so langen Zeitraum zusammengearbeitet, um gemeinsam auszuformulieren, welche Pfade der Energiewende sie für plausibel halten“, so Witold-Roger Poganietz vom Karlsruher Institut für Technologie – einer der Autoren der Studie. Zusammen mit anderen WissenschaftlerInnen füllte er die qualitativen Storylines mit realistischen Zahlen.
Ein Großteil der an der Entwicklung beteiligten Stakeholder (10 von 11) bewertete das Festhalten am bestehenden Netzentwicklungsplan als schlechteste der vier Optionen, und Entwicklungspfad B als die beste (7 von 11). Dabei ist das Verfolgen dieses Entwicklungspfades äußerst ambitioniert: Er setzt einen Anteil von 83 Prozent erneuerbarer Energien am Strommix 2030 voraus – und einen Kohleausstieg vor 2030. Er geht von einem Netzausbau aus, der deutlich ambitionierter ist als der beschlossene Netzentwicklungsplan es vorsieht, und setzt hohe Modernisierungsraten voraus. Im Verkehrssektor fahren auf diesem Entwicklungspfad 7 Millionen Batterie-Autos in Deutschland und 6 Millionen Plug-In-Hybride. Gegenüber 2017 müsste der Autoverkehr um 18 Prozent zurückgehen und der Bahnverkehr um etwa 50 Prozent zulegen.
Beteiligte Stakeholder:
Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), Bundesverband Erneuerbare Energien (BEE), Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND), Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB – zu Beginn des Prozesses), Deutscher Landkreistag (DLT), Deutscher Städtetag (DST), Kommissariat der deutschen Bischöfe – Katholisches Büro in Berlin, Verband kommunaler Unternehmen (VKU), Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv), WWF Deutschland, zudem ein Verband aus dem Bereich Land- und Forstbewirtschaftung
Autoren der Studie:
Witold-Roger Poganietz (Karlsruher Institut für Technologie), Christof Timpe (Öko-Institut), Liv Becker (Deutsche Umwelthilfe), Tim Höfer (RWTH Aachen), Matthias Koch (Öko Institut), Dominik Seebach (Öko-Institut), Annika Weiss (Karlsruher Institut für Technologie), Theresa Wildgrube (Energiewirtschaftliches Institut an der Universität zu Köln)