21.02.2025 ENSURE
ENSURE: „Im Stromnetz kommen immer mehr Akteure hinzu“
Das Kopernikus-Projekt ENSURE macht mit seiner Forschung das Stromnetz zukunftsfit. Doch was bedeutet das und welchen Herausforderungen muss die Umgestaltung sich stellen? ENSURE hat sich hierzu jüngst beim Konsortialtreffen ausgetauscht und die Weichen für den Projektendspurt gestellt. Das nimmt Eva Buchta zum Anlass, wesentliche Fragen rund ums Netz für die Öffentlichkeit zu beantworten.
Dr.-Ing. Eva Buchta hat an der TU Darmstadt in Elektrotechnik und Informationstechnik promoviert und arbeitet nun beim ENSURE-Partner Siemens. Sie leitet gemeinsam mit Partner Avacon das Cluster „Intelligente Niederspannungssysteme“ und dort den Baustein „Zustands- und Systemerfassung“ im Kopernikus-Projekt ENSURE. Zu ihrer wisseschaftlichen Expertise gehören Stromnetz, Verteilnetze, elektrische Betriebsmittel, Lastflusssimulationen und Netzzustandsschätzung. Sie weiß also genau, wo im Netzkontext noch offene Fragen existieren. Im Gespräch will sie die wesentlichen Aspekte für die Öffentlichkeit verständlicher machen.
Der Wandel unseres Stromnetzes hin zu einer Versorgung mit erneuerbaren Energien führt dazu, dass unser Netz in Zukunft mit stark schwankender Einspeisung aus Wind- und Photovoltaikanlagen umgehen muss. Eine weitere Herausforderung für unser Stromnetz sind die zusätzlich angeschlossenen leistungsstarken Lasten wie Wärmepumpen und E-Autos. Dabei muss unser Stromsystem jedoch stets in der Lage sein, weiterhin eine zuverlässige Stromversorgung zu gewährleisten.
Unsere Stromnetze wurden ursprünglich für eine zentrale und steuerbare Stromerzeugung mit großen Kraftwerken ausgelegt, hauptsächlich auf der Basis von fossilen Brennstoffen. Im Gegensatz dazu ist die Stromerzeugung durch erneuerbare Energiequellen wie Sonne und Wind deutlich dezentraler und hoch volatil – sprich stark schwankend. Diese Volatilität kann unsere Stromnetze teils erheblich belasten. Beispielsweise kann die gleichzeitige Einspeisung der Solaranlagen auf unseren Dächern an einem sonnigen Mittag zu Überlastungen führen. Andererseits sind viele erneuerbare Energiequellen aufgrund der hohen Wetterabhängigkeit auch nicht zu jeder Zeit verfügbar. So können insbesondere während Zeiten hoher Stromnachfrage, wie beispielsweise in den Abendstunden, Engpässe auftreten. Zusammengefasst muss das Stromnetz der Zukunft also in der Lage sein, sowohl Stromüberschüsse als auch Defizite auszugleichen.
Ganz genau. In der Vergangenheit war der Verbrauch der Haushalte leichter vorhersagbar. Das „Schlimmste“, was man anschließen konnte, war eine Waschmaschine oder ein Geschirrspüler. Die Elektrifizierung unseres Wärme- und Mobilitätssektors kann jedoch zusätzliche Belastungen für unsere Stromnetze verursachen. Eine leistungsstarke private Wallbox arbeitet zum Beispiel mit einer Ladeleistung von 22 kW, was in etwa der Leistung von zehn Waschmaschinen entspricht. Das heißt, wir haben nicht nur starke variable Einspeisungen, sondern auch zeitlich variable leistungsintensive Bezüge in unseren Verteilnetzen abzufangen.
Das liegt an der sogenannten Sektorenkopplung. Die Sektorenkopplung verbindet unser Stromnetz beispielsweise mit dem Wärme- und Verkehrsnetz. Betrachtet man unseren Endenergiebedarf, so stellt der aktuelle Anteil für Strom nur etwa 25 Prozent dar. Um eine vollständige Klimaneutralität zu erlangen, ist es daher wichtig, auch den Wärme- und Verkehrssektor von fossilen Energieträgern zu lösen. Das ist möglich, indem wir für unsere Wärmeerzeugung und Mobilität Strom aus erneuerbaren Energiequellen einsetzen. Für die Haushalte bedeutet dies zum Beispiel explizit die Nutzung von Wärmepumpen und Elektrofahrzeugen.
Unser Stromnetz besteht aus einem sogenannten Übertragungs- und einem Verteilnetz. Das deutsche Übertragungsnetz transportiert den Strom über weite Entfernungen hinweg und ist mit den Übertragungsnetzen der europäischen Nachbarländer verbunden. Es besitzt die höchste Spannungsebene.
Die Aufgabe der Verteilnetze besteht in der Versorgung der Verbrauchenden bis hin zu jedem einzelnen Haushalt. Hier unterscheiden wir nach Hoch-, Mittel- und Niederspannung.
Im historischen Stromnetz war die Erzeugung, also die großen Kohle- und Kernkraftwerke, hauptsächlich auf den beiden oberen Spannungsebenen, der Höchst- und Hochspannungsebene, angeschlossen. Ziel war es, wie in einem Art Wasserfallprinzip, den Strom von „oben“, also aus den höheren Netzebenen, nach „unten“ zu den Verbrauchern zu transportieren. Durch die Energiewende hat sich unsere Erzeugungsstruktur jedoch grundlegend verändert. Die Erzeugungseinheiten, also die erneuerbaren Energien, werden nun auf allen vier Spannungsebenen angeschlossen und nicht mehr nur primär auf den beiden oberen. Circa die Hälfte der installierten Photovoltaikleistung ist direkt auf unseren Hausdächern installiert und somit in der Niederspannung angeschlossen. Dadurch ändert sich die grundlegende Funktion des Verteilnetzes – immer mehr Haushalte und Unternehmen erzeugen ihren eigenen Strom und speisen ihn in das Stromnetz ein. Dies führt zu einem umgekehrten Stromfluss im Netz und zu einer hohen Belastung der Netze, welche bei der ursprünglichen Planung der Netze nicht berücksichtigt wurde.
Richtig. Eine zusätzliche Belastung für unsere unteren Spannungsebenen entsteht durch die auf der Niederspannungsebene angeschlossenen „neuen“ Verbraucher – die Wärmepumpen und E-Autos. Insgesamt kommen immer mehr Akteure in unserem Stromnetz hinzu und führen zu einer höheren Auslastung unserer Verteilnetze. Man kann also sagen, dass im Zuge der Energiewende das Verteilnetz sowohl für das große Ganze als auch die Verbrauchenden selbst immer mehr an Bedeutung gewinnt.
Wie nähert sich ENSURE Lösungen und was ist da bereits konkret umsetzbar oder sogar schon umgesetzt?
Wenn wir mehr erneuerbare Energiequellen und zusätzliche Verbraucher wie E-Autos und Wärmepumpen integrieren wollen, müssen wir unsere Stromnetze weiter ausbauen. Um diesen Netzausbau auf ein Minimum zu reduzieren, müssen wir unser Stromnetz digitalisieren, wir müssen die Flexibilität unserer steuerbaren Anlagen nutzen, und wir müssen Speicher sowie intelligente Energiemanagementsysteme integrieren.
Bei ENSURE machen wir genau das. Wir haben Technologien wie kleine dezentrale Steuerboxen entwickelt, die in den Haushalten integriert werden können und die uns helfen, die Flexibilitäten unserer Wärmepumpen und E-Autos auszunutzen. Wir untersuchen den Nutzen großer Speicheranlagen, die sich netzdienlich einsetzen lassen und somit ermöglichen, den Strom aus erneuerbaren Energien, der lokal erzeugt wurde, auch direkt vor Ort zu nutzen und nicht erst wieder in das Netz einzuspeisen. Dadurch können wir die Netze stabil halten, Überlastungen verhindern und den CO2-Footprint verbesseren.
Außerdem entwickeln wir kontinuierlich Lösungen für ein effizientes Management unserer Netze. Um unsere Netze zukunftsfähig zu betreiben und Grenzwertverletzungen zu vermeiden, ist eine intelligente und digitale Steuerung unabdingbar. Der erste Schritt dafür ist, mehr Transparenz in unseren Stromnetzen zu erreichen. Für diese sogenannte Netztransparenz haben wir in ENSURE Algorithmen entwickelt, welche wir jetzt in realen Verteilnetzen testen wollen.